Collateral Murder

Wikileaks hat im April ein Video veröffentlicht, das an anderer Stelle ja bereits ausführlich diskutiert wurde (hier, hier oder hier). Besondere Beachtung finden dabei die im Video zu hörenden Anfeuerungen der Soldaten an den bereits schwer verletzten Reuters Journalisten Said Chmagh („All you have to do is pick up a weapon“): Die Identifizierung einer Waffe erlaubt den Soldaten nach den sogenannten „Rules of Engagement“ das begrifflich vollkommen unangebrachte „Eingreifen“ in den Konflikt. Chmagh wird kurz darauf getötet. Etliche weitere Personen, darunter sein Kollege Namir Noor-Eldin, sind zu diesem Zeitpunkt bereits tot.

So grausam und schockierend die Bilder und Äußerungen auch sind: es ist keineswegs zutreffend, dass sie über die veränderten Formen moderner Kriegsführung aufklären. Zwar bezeugen sie etwa die Verletzung der Genfer Konventionen oder die Willkür von Entscheidungsstrukturen, doch tendieren sie eher dazu über die Situation zu täuschen, die sie zu zeigen vermeinen. Angefangen bei den unbestimmbaren Nachtaufnahmen die als dumpfer Nachhall unserer Erinnerungen den ersten Irakkrieg repräsentieren, bis hin zu den Bordsensoren der Cruise Missiles, die zwar den Zielanflug exakt dokumentieren, das Geschehen nach dem Aufprall jedoch zwangsläufig ausblenden, prägen diese Bilder den Eindruck eines scheinbar transparenten, präzisen und überschaubaren „Engagements“. Im Zeitalter der Bilderkriege müssen deshalb gerade die Formen der Bildproduktion ins Fadenkreuz des Interesses rücken. Dies betrifft nicht nur ihren Kontext (z.B. Embedded Journalism), sondern ebenso ihre spezifische Darstellungsform (Medialität).

Hier zeigt sich, dass eine Interpretation der Bilder und Handlungen ohne die Einbeziehung der sie produziernenden technischen Apparatur unvollständig bleibt. Und genau diesbezüglich ist Collateral Murder eine wichtige Mahnung. Denn die Handlungsentscheidungen der Piloten des involvierten Apache-Kampfhubschraubers basieren auf einem komplexen visuellen Informationssystem, das einige entscheidene Wesensmerkmale der sogenannten „Neuen Kriege“ (Münkler) verdeutlicht (z.B. Assymmetrierung, Technisierung, Distanzierung, Visualisierung): Vor dem rechten Auge des Hubschrauberpiloten befindet sich ein Okularbildschrim, auf dem er zwischen sechs verschiedenen Bildtypen umschalten kann. Es handelt es sich dabei um Visualisierungen digitaler Datensätze, die von den Sensoren des Hubschraubers aufgezeichnet werden (dazu gehört wohl auch das Thermobild, das die Grundlage für das Video bildet). Mit dem linken Auge sieht der Pilot hingegen den natürlichen Ausschnitt seines Gesichtsfeldes. Hier fallen also technischer und natürlicher Blick zusammen und überlagern sich gegenseitig – Otto Karl Werckmeister unterscheidet in seinem Beitrag für die FAZ dementsprechend eine informative von einer operativen Bildsphäre:

„Die operative Bildersphäre lässt digitale Bilder, die eine elektronische Apparatur erzeugt, auf diese zurückwirken, ohne dass Menschen sie je zu Gesicht bekämen. Die informative Bildersphäre ist dagegen für menschliche Augen bestimmt, die in die Funktionsabläufe eingreifen oder sie zumindest kontrollieren. Dabei können die kategorischen Unterscheidungen zwischen Wirklichkeit, Wahrnehmung und Bild verschwimmen.“ Eben diese Differenz zwischen medialer Intervention und unmittelbarer Erfahrung – hier zwischen der abstrakten technischen Visualisierung und dem natürlich Erblicktem – verdeutlicht das Dispositiv des Hightech-Krieges. Es ist vielleicht gerade dieses Verhältnis von Wahrnehmungsformen und medialen Erscheinungsformen, dass zu einem Verstehen (nicht Verständnis) der Transformation des Krieges beitragen kann. (Bild: www.wikileaks.org)

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