Zeichnende Denker

Zeichnungen von Charles S. Peirce
  • „Zeichnende Denker von Galilei bis Peirce“ war ein Hauptseminar an der Humboldt Universität zu Berlin, Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Institut für Philosophie
  • Team: Horst Bredekamp, Franz Engel, Tullio Viola, Moritz Queisner
  • Sommersemester 2011

Abstract: Wie schön wäre es, Leonardo, Leibniz oder Kafka beim Denken zusehen zu können! Was zunächst als absurde Vorstellung erscheinen mag, erweist sich allerdings nach einem Blick in die handschriftlichen Hinterlassenschaften dieser und vieler anderer Denker nicht länger als unwahrscheinlich. In ihren Manuskripten finden sich neben den zu erwartenden Textentwürfen, -ausarbeitungen und -verwürfen eine Unzahl an piktoralen Einsprengseln, Kritzeleien, Randzeichnungen, Skizzen, Diagrammen und Zeichnungen.

Die Gedanken, die sich in diesen meist unbeachteten und in den Archiven schlummernden zeichnerischen Elementen entfalten, sind nur zum Teil durch die Texte zu erklären, die sie begleiten oder von denen sie – was ebenso vorkommt – begleitet werden. Viele von ihnen beanspruchen durch ihre eigenwillige Formensprache vielmehr gesondert betrachtet zu werden. Es handelt sich hierbei um ein gewaltiges und bislang kaum erforschtes, ikonisches Erbe, zu dessen unbeschreiblicher Formenfülle eine simple, sich permanent wiederholende Ausgangssituation beitrug: ein Stift, ein Blatt Papier und jemand, der den ersten Strich zieht.

Was die großen Köpfe in der Geschichte des Denkens aus dieser Ausgangssituation machten, versucht das Seminar in einem weiten historischen Panorama zu veranschaulichen, das bei einer mittelalterlichen Abschrift von Platons Politeia beginnt, in der sich das Liniengleichnis als gezeichnetes Diagramm findet, und bis zu Zeichnungen der Gegenwart reichen soll. Künstler der klassischen Moderne wie Paul Klee oder Cy Twombly haben schon längst den Formenreichtum entdeckt, der außerhalb der Ateliers und Kunstakademien am Gelehrtenpult, auf Reisen, in Briefwechseln, im Unterricht oder in Labors entstand, und in ihre Kunst einbezogen. Die Wissenschaft jedoch steht mit großer Verspätung erst am Beginn einer systematisch historischen Aneignung und Auswertung dieses Materials.