Nach dem Strukturwandel der bürgerlichen Öffentlichkeit scheint ja nun auch die Historisierung der massenmedialen Öffentlichkeit beschlossene Sache zu sein: Im Zeitalter digitaler Medien ist die Fassung homogener und raum-zeitlich begrenzter Öffentlichkeit schliesslich implodiert. Das, was wir bis etwa zum Ende des 20. Jahrhunderts als Öffentlichkeit bezeichneten war eine interaktionarme und unpersönliche Verbindung zwischen Menschen, ein Produkt der Kulturindustrie für ein verstummtes Publikum, ermöglicht durch die zunehmende Technisierung von Produktion (Industrialisierung der Vervielfältigung) und Distribution (Beschleunigung des Transports). Die habermaßsche Kritik an diesen Veränderungen des Systems kultureller Übermittlung und ihren Folgen für die Gesamtheit sozialer Beziehungen bezog sich maßgeblich auf eben jene Entwicklung vom kulturräsonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum (Strukturwandel der Öffentlichkeit §18), dem Öffentlichkeit nur noch als bloße Inszenierung begegnete – produziert von PR-Consultans, Spin-Doktoren, Marktforschern, Agendasettern und Eventmanagern.
Über Möglichkeiten der Intervention gegen das was Habermas als „Refeudalisierung“ der Öffentlichkeit bezeichnet (er erklärt das anhand des Übergangs von der kritischen Publizität der „literarischen Öffentlichkeit“ zur öffentlichen Dienstleistung der Massenmedien in SdÖ §20) und der mit ihr verbundenen Veränderung der Modalitäten und Akteure politischen und sozialen Handlens, ist von Enzensberger bis Baudrillard viel diskutiert worden. Seit der digitale Medienumbruch Kommunikationen nun zunehmend als Interaktion über mediale Umgebungen organisiert, wird eine begriffliche Neufassung von Öffentlichkeit immer notwendiger: Während im Netz bereits von den“alten Öffentlichkeiten“ gesprochen wird, stellt sich die Frage nach der Vorstellung und dem Umgang von und mit der post-massenmedialen Öffentlichkeit vor allem im Zuge der zunehmenden Medialisierung und informationellen Überformung (Augmentation) der Lebenswelt.
Im Mittelpunkt stehen dabei nicht nur Diskussionen über die verteilte Macht zur Herstellung von Öffentlichkeit als Demokratisierung der Diskurse (Netzwerk vs. Hierarchie), aus denen ein verändertes Verhältnis zwischen individuellen und institutionellen Akteuren hervorgeht, sondern vor allem auch die Verhandlung der viel grundsätzlicheren Frage was überhaupt öffentlich ist. Denn in der networked public sphere (Yochai Benkler) tritt das Private immer mehr ins Öffentliche und nicht mehr umgekehrt. Die Debatte über Profile in Sozialen Netzwerken ist dafür ein gutes Beispiel oder die Kartographierung von WLAN-Netzen durch Google. Unsere Individualität ist hier nur noch ein statistisch mehr oder weniger häufges Bündel von Merkmalen und Eigenschaften, wie Frank Rieger in der FAZ schreibt („Der Mensch wird zum Datensatz„).
Wie sich Öffentlichkeit durch das Digitale immer weiter transformiert und fragmentiert, zeigt sehr überzeugend auch das „imporved reality project“ The Artvertiser von Julian Oliver, das vor allem mit der Vorstellung des Virtuellen als parallele (oder lediglich erweiterte, „augmentierte“) Öffentlichkeit bricht: as „an instrument of conversion and reclamation, The Artvertiser situates the ‚read-only‘, proprietary imagery of our public spaces as a ‚read-write‘ platform for the presentation of non-proprietary, critically engaging content.“ Hier prallen alte und neue Öffentlichkeit aufeinander: statische Werbeflächen werden von dynamischem Content überlagert – der öffentliche Raum wird apparativ modifiziert, er ist damit räumlich diffus und kann alle möglichen Formen annehmen. Genau darin liegt wohlmöglich das Wesen der neuen Öffentlichkeit. Wie ein letztes antiquiertes Aufbäumen vor dem Ende des massenmedialen Zeitalters schien dagegen etwa das Verbot öffentlicher Werbung in Sao Paolo 2007 (Foto unten, mehr: Flickr-Stream von Tony de Marco).
Im Zuge der fortschreitenden Verknüpfung des digitalen mit dem physikalischen Raum (Foursquare, Latitude usw.), beginnen digitale Technologien zudem sozial integriert und räumlich kontingent zu werden. Denn dort wo mediale Codes und physikalischer Raum aufeinander treffen, entstehen keine Cyberspaces, sondern hybride Formen räumlicher Repräsenatation – auch sie bedeuten immer schon Überschneidungen von Privatem und Öffentlichem, wie sie beispielsweise Timo Arnall in seiner Arbeit „Wireless in the World“ sichtbarmacht. Dort heißt es: „Utopian and radical architects in the 1960s predicted that cities in the future would not only be made of brick and mortar, but also defined by bits and flows of information. The urban dweller would become a nomad who inhabits a space in constant flux, mutating in real time. Their vision has taken on new meaning in an age when information networks rule over many of the city’s functions, and define our experiences as much as the physical infrastructures, while mobile technologies transform our sense of time and of space.“ Auch hier wird deutlich, wie das Digitale den Raum des Öffentlichen neu definiert. (Bilder © Tony de Marco, © Julian Oliver)
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